15. November 2019

Ansprache zum Volkstrauertag

Sehr geehrter Herr Bürgermeister Zentgraf, sehr geehrter Herr Ortsvorsteher Eugen Heidelmeier, sehr geehrte Ehrengäste, sehr geehrte Vertreterinnen der Kommunalen Gremien, sehr geehrte Vertreter der Freiwilligen Feuerwehr, des Sängerverein Bachrains, verehrte Damen und Herren,

am heutigen Tag gedenken wir den Opfern von Krieg und Gewalt. Es ist ein stiller Tag der Trauer aber auch ein Tag der Besinnung. Es ist ein Tag des Innehaltens, der uns einerseits auffordert den Blick in die Deutsche Vergangenheit zu richten, uns andererseits ermutigt kritisch die Gegenwart zu betrachten und uns verdeutlich, wie viel Verantwortung wir gemeinsam für eine friedliche Zukunft in Europa tragen.

Blicken wir zunächst in die Vergangenheit, die Geschichte des Volkstrauertages geht weit vor die Gründung der Bundesrepublik zurück.

1920 in der Weimarer Republik eingeführt, angeregt vom Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge, erinnerte der Tag an die Millionen Toten des Ersten Weltkrieges. Trauer und Erinnerung an das Leid, das ein Krieg hervorbringt, Mahnung, dass so etwas nie wieder geschehen möge.

1934 wurde der Volkstrauertag unter nationalsozialistischer Diktatur zum Heldengedenktag und damit seinem ursprünglichen Sinn, nämlich dem Gedenken an die Opfer des Krieges, beraubt.

Das nationalsozialistische Deutschland entfachte 1939 mit seinem kriegerischen Überfall auf Polen den Zweiten Weltkrieg, einen Krieg, der über 60 Millionen Tote forderte.

Ein Krieg, in dem ein bespielloses Verbrechen geschah: die systematische Entrechtung, Verfolgung und Ermordung europäischer Juden, ein Völkermord an unseren jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern, ein Völkermord auch an Sinti und Roma. Unfassbares Leid, uns zur Erinnerung  und Auseinandersetzung mit der Geschichte verpflichtet.

Heute stellen einige in unserem Land die Notwendigkeit des Erinnerns in Frage. Doch das Erinnern an Weltkrieg und Holocaust, an Flucht und Vertreibung an deutsche und europäische Diktaturen in Europa sind Teil unseres kollektiv geteilten Wissens. Erinnerungskultur –  und hier möchte Aleida Assmann, die Laudatorin des diesjährigen Winfried-Preises zitieren – ist „Geschichte im Gedächtnis“.

Auch der französische Präsident Emmanuel Macron sprach im vergangenen Jahr in seiner bewegenden Rede zum Volkstrauertag im Bundestag darüber, dass Deutschland die blutrünstigen Dämonen des Nationalsozialismus überwunden hat. Gleichzeitig ruft er Deutschland dazu auf, Europa in Zeiten des neuen Nationalismus krisenfest zu machen.

Wir müssen die Erinnerungskultur wach halten um dem entgegentreten zu können, was uns heute in Europa begegnet.

Der Anschlag am 9. Oktober auf eine Synagoge in Halle hat uns erneut zutiefst erschüttert. Nachdem Anschlag geschah das, was mich fassungslos, ja geradezu ratlos macht. Das Netz ist voll von Hetze, Hass und Häme. Antisemitische Äußerungen werden unter dem Deckmantel der freien Meinungsäußerung verharmlost.

Nein, es gibt keine Legitimation für antisemitische, rassistische und fremdenfeindliche Äußerungen. Wenn heute Rechtsextremisten zum 81. Jahrestag der nationalsozialistischen Novemberpogrome zu einer Sympathiebekundung für die mehrfach verurteilte Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck aufrufen, dann ist es gut und richtig, dass 14.000 Demonstranten gegen diesen unsäglichen Neonazi-Marsch auf die Straße gehen.

Heute erinnern wir auch an all diejenigen, die Widerstand leisteten, die an ihrem Glauben oder an ihrer politischen Gesinnung festhielten.

Das Erinnern an die Opfer des fanatischen Terrors ist zugleich Mahnung aus der Vergangenheit Schlüsse für Gegenwart und Zukunft zu ziehen.

Noch nie gab es in der Geschichte Europas so lange Frieden. Wir – und ich glaube ich spreche für viele der Anwesenden hier – hatten das Glück in ein friedliches Europa hineingeboren worden zu sein.

Die etwas Älteren kennen noch die innerdeutsche Grenze, erinnern sich an die latente Bedrohung des Kalten Krieges, an das Spiel Fulda Gap, an Verwandte im Osten Deutschlands, der damaligen DDR, die uns nie gleichzeitig besuchen konnten. Erinnern sich an die friedliche Revolution und den Mauerfall.

75 Jahre Frieden in Europa, 70 Jahre freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland, 30 Jahre nach der friedlichen Revolution tragen wir gemeinsam Verantwortung für den Frieden in Deutschland und Europa.

Unsere Kinder oder die Jüngeren unter uns kennen Dank des Schengen-Raums eine EU ohne Grenzkontrollen. 26 Staaten mit 400 Millionen Einwohnern, 1,25 Milliarden Reisen über die Schengen-Binnengrenzen – eine der größten Erfolgsgeschichten der europäischen Integration. Ein friedliches Europa vor 100 Jahren nur ein Traum, heute Selbstverständlichkeit?

Die freiheitlich demokratische Grundordnung ist das Fundament unserer Gesellschaft. Wir sind verantwortlich für soziale Gerechtigkeit und den gesellschaftlichen Zusammenhalt, für das Gelingen der Integration und für die Schaffung von Zukunftsperspektiven für junge Menschen.

Verantwortung für den Frieden zu übernehmen heißt – auch weit über nationale Grenzen hinweg  – sich zum nachhaltigen Umgang mit unseren natürlichen Ressourcen zu entscheiden. Sprechen wir heute davon Maßnahmen gegen Fluchtursachen zu ergreifen, dann sollten wir dies nicht aus Sorge vor Flüchtlingsströmen tun, sondern um Kriege, Hunger und Unterdrückung zu vermeiden. Nehmen wir Ausbeutung und die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen in Kauf, um unseren Wohlstand in Deutschland und Europa zu sichern, verursachen wir Flucht und Leid.

Die Europäische Union – ein Garant für Frieden und Demokratie für Menschenrechte und Solidarität – steht unter Druck. Als Folge der vergifteten Debatte über Migration wurde viel Leid an den maritimen Grenzen Europas verursacht. Während zivile Rettungskräfte daran gehindert werden Leben zu retten wurde das Mittelmeer zum Friedhof für Geflüchtete. Menschen auf der Flucht vor Krieg, Folter und Vergewaltigung brauchen Schutz und Sicherheit.

Mut zum Frieden, den Werten unserer Verfassung treu bleiben, aufrichtig für ein weltoffenes, freiheitliches und demokratisches Deutschland und ein ebensolches Europa einstehen, dafür tragen wir Verantwortung.

Krieg, Terror und Gewaltherrschaft finden täglich in aller Welt statt. Wir dürfen davor die Augen nicht verschließen, denn wir sind Teil einer globalisierten Welt. Frieden in Europa ist keine Selbstverständlichkeit, der heutige Tag erinnert uns daran.

Wir brauchen immer wieder die Auseinandersetzung mit der Geschichte, um nicht die Fehler früherer Generationen zu wiederholen.

„Lange“, so der ehemalige Bundespräsident Gauk, „wollten Deutsche nur sich selbst als Opfer sehen und sich der Schuld an einem verbrecherischen Krieg nicht stellen. Inzwischen ist diese verhärtete Position des Selbstmitleids lange überwunden. Sie ist Geschichte.“